Die Kreativitätsforschung unterscheidet 4 Phasen des kreativen Prozesses. Die vier Stufen des kreativen Prozesses sind: Vorbereitung, Inkubation, Illumination und Verifikation. Gerade für kreativ arbeitende Menschen ist es sehr nützlich, diese Phasen zu kennen. Das Wissen darüber, was in diesen Phasen geschieht, ermöglicht einen gelasseneren Umgang mit scheinbar unproduktiven Zuständen. Das „Mir fällt nichts ein“ führt dann nicht zwangsläufig in die Verzweiflung und zum Abbruch des künstlerischen Vorhabens.
Das 4-Phasen-Modell basiert auf einem Vorschlag des Mathematikers Poincaré (1908) und wurde von dem Politikwissenschaftler und Psychologen Graham Wallas weiterentwickelt. Es gilt nicht nur für das Schreiben, sondern für jede Form der kreativen Tätigkeit – zum Beispiel auch für das Forschen und das Entwickeln kreativer Problemlösungen in Unternehmen.
Lesen Sie mehr über die 4 Phasen des kreativen Prozesses:
Vorbereitung der kreativen Prozesse
Sammeln, notieren, recherchieren!
In der ersten Phase, der Vorbereitungsphase, geht es um das lustvolle und spontane Sammeln von Ideen, Stoff und Material. Beobachten Sie, notieren Sie, recherchieren Sie. Laufen Sie nie ohne Notizbuch durch die Gegend. Legen Sie sich ein Diktiergerät neben das Bett.
Und seien Sie vor allem offen für jede neue Idee, die Sie anfliegt. Gebieten Sie Ihrem inneren Kritiker zu schweigen und bewerten Sie nicht, was Ihnen einfällt. Diese erste Phase des Sammelns bildet den Humus, auf dem das kreative Pflänzchen wächst und gedeiht. Je reichhaltiger der Nährboden, desto besser.
Peter Rühmkorf, einer der bedeutendsten deutschen Lyriker, war bis zu seinem Tod im Jahr 2008 ein leidenschaftlicher Zettelschreiber und -sammler. Er beschreibt diese Phase im Gespräch mit Herlinde Koelbl so:
„Die erste (Phase) hat mit nichts als Spontaneität zu tun, indem ich die Welt ganz schnell mitnehme, in winzigen, blitzartigen Notizen auf kleinen Zetteln, wie Sie sie hier überall rumliegen sehen. . von diesen kleinen Zetteln sammeln sich im Laufe des Jahres Tausende, ja Zehntausende an.“ (1)
(1) Herlinde Koelbl: Im Schreiben zu Haus, Fotografien und Gespräche, Knesebeck 1998, Seite 181
Inkubation der kreativen Prozesse
Sichten, spielen – wirken lassen!
Nun haben Sie jede Menge Material. Aber was machen Sie damit? Noch sind es unverbundene Informationen, die keinerlei Gestalt angenommen haben. Und es ist die Frage, ob sie je Gestalt annehmen werden und wenn ja, welche? Nun beginnt eine neue Phase des kreativen Prozesses: die Inkubation.
Medizinisch gesehen ist dies die Zeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit. Umgangssprachlich sagt man auch: Jemand brütet etwas aus. Auch wenn das Schreiben keine Krankheit ist, der Schriftsteller brütet in dieser Phase etwas aus.
Die Inkubationszeit wird oft als sehr unproduktiv empfunden, bisweilen sogar als quälend. Sie stehen vor einem Haufen unzusammenhängender Materialien und wissen nicht, wozu das alles gut sein soll. Verzweifeln Sie nicht, sondern gestehen Sie sich diese Ratlosigkeit zu. Arbeiten Sie spielerisch mit Ihrem Material, probieren Sie aus, was sich damit machen lässt. Und gehen Sie zwischendurch immer wieder auf Distanz. Das Unbewusste arbeitet weiter, auch wenn Sie schlafen, spazieren gehen, Geschirr spülen oder Auto fahren. Voraussetzung dafür, dass das Unbewusste seine Arbeit aufnehmen kann, ist allerdings, dass Sie sich auch bewusst mit der Materie auseinandersetzen. Vielleicht haben Sie in dieser Phase das Gefühl, dass Sie gerade kein Stück weiterkommen? Wenn Sie jedoch auf Ihre eigene kreative Kraft vertrauen, wird der Zeitpunkt kommen, an dem Ihnen plötzlich alles klar wird. Schauen wir noch einmal bei Peter Rühmkorf rein:
„Ja, da sitze ich dann vor einem riesigen Haufen von Quanten, Scherben, ungefassten Augenblicken, Fragmenten und Fetzchen, etwa wie ein Archäologe, dem sich ein neues Trümmerfeld aufgetan hat und der nun alles zu Vasen und Krügen und Plastiken zusammenfügen soll. Und da setzt die zweite Phase des Schaffensprozess ein, die eigentliche Arbeit, die richtige Arbeits-Arbeit. . Da geht das Probieren los: Wie passen die Scherben zusammen? Wo ergeben sich vielleicht Verbindungen vom einen Stück zum anderen, was gehört in ein Gedicht, was entwickelt sich vielleicht zum Märchen? (1)
(1) Herlinde Koelbl: Im Schreiben zu Haus, Fotografien und Gespräche, Knesebeck 1998, Seite 181
Illumination der kreativen Prozesse
Heureka – ich hab’s!
Der Überlieferung nach lief Archimedes nackt und Heureka-rufend durch die Straßen von Syrakus, nachdem er in der Badewanne das Archimedische Prinzip entdeckt hatte. Seitdem steht Heureka für den Moment der Entdeckung einer Lösung, für den Moment der Erleuchtung und für die Freude darüber.
Ob Sie die Erleuchtung in der Badewanne trifft, beim Autofahren oder am Schreibtisch (was seltener geschieht), lässt sich nicht voraussagen. Eins aber ist gewiss: Sie werden diesen Moment, der den Beginn der dritten Phase des kreativen Prozesses einläutet, deutlich spüren. Es ist Ihr persönliches Heureka, das plötzliche: Ich hab’s! Der Übergang von der Inkubation zur Illumination vollzieht sich meist abrupt. Es ist die scheinbar aus dem Nichts auftauchende Erkenntnis: So ist es richtig! So muss es sein!
Diese plötzliche Erkenntnis ist nicht einer von vielen ungerichteten Einfällen, die Sie in den vorangegangenen Phasen der Vorbereitung und Inkubation hatten. Es ist der Einfall, der Geistesblitz – die Initialzündung für Ihr „eigentliches“ Werk und er wird begleitet von einem Gefühl der Gewissheit. Alles fügt sich plötzlich wunderbar zusammen.
Doch soviel ist klar: Ihr persönliches Heureka ist nicht ohne die Phasen der Vorbereitung und Inkubation zu haben. Müßiges Warten auf die große Inspiration bringt Sie nicht weiter. Voraussetzung für Ihr Heureka ist, dass Sie aktiv darauf zuarbeiten – auch wenn zu dieser Arbeit ganz wesentlich das spielerische Herangehen und das entspannte Loslassen gehören. Wenn dieser lichte Moment kommt, müssen Sie ihn nutzen. Mit der Illumination beginnt eine Schaffensphase, die meist als sehr intensiv erlebt wird und die sehr produktiv sein kann. Viele Autoren beschreiben sie – wie Christa Wolf im Interview mit Herlinde Koelbl – als beglückendes, rauschhaftes Erlebnis:
„Ich mache sehr gerne Notizen, an denen ich später weiterarbeite. Das ist eigentlich der schönste Prozess, wenn man das Gefühl hat, jetzt öffnet sich der Stoff und die Perspektive, in die dieser Stoff hineingehört. Und man hat das Gefühl, er wächst jetzt organisch und man muss nichts Falsches mehr erfinden, sondern es erfindet sich von selbst. Das ist dann auch die Zeit, wo es gar nicht mehr aufhört, auch nicht nachts, wo Träume, die scheinbar nichts damit zu tun haben, in Wirklichkeit sich doch darauf beziehen. Man schreibt im Grunde, um solche fast rauschhaften Zustände zu erleben. Diese Euphorie, die da entsteht, das kann man durch fast nichts anderes erreichen.“ (1)
(1) Herlinde Koelbl: Im Schreiben zu Haus, Fotografien und Gespräche, Knesebeck 1998, Seite 243
Verifikation und Kommunikation der kreativen Prozesse
Umsetzen, überprüfen, überarbeiten!
Einen längeren Text, wie zum Beispiel einen Roman, können Sie weder in einem Rutsch noch im ständigen Rausch (Schaffensrausch!) herunter schreiben. Während des Schreibens werden Sie überlegen, planen, die Umsetzbarkeit Ihres Plans prüfen. Sie werden auf gestalterische und technische Probleme und Hindernisse stoßen, die Sie lösen müssen. Es wird Phasen geben, in denen es schleppend läuft und solche, in denen es sich nahezu von selbst schreibt.
Sie befinden sich jetzt in der Umsetzungsphase, der Phase der Verifikation.
Wenn Sie die Erstfassung Ihres Manuskriptes beendet haben, fühlen Sie sich vielleicht leer und erschöpft. Nun beginnt der letzte wichtige Teil des kreativen Schaffens: Die Überprüfung und Überarbeitung des Textes und die Veröffentlichung des Werkes. Schon tauchen auch wieder erste Selbstzweifel auf: Ist es wirklich gut, was ich da zu Papier gebracht habe?
Seien Sie zunächst vorsichtig im Umgang mit sich selbst und Ihrem Werk. Erlauben Sie Ihrem inneren Kritiker nicht sofort über Ihren Roman, Ihre Geschichte herzufallen und ein vernichtendes Urteil zu sprechen. Es ist normal, dass Ihr Text noch nicht perfekt ist. Geben Sie Ihren Texten eine reale Überlebenschance. Das Beste ist, Sie nehmen erst einmal Abstand vom Text. Texte und Wildbret werden besser, wenn sie gut abgehangen sind!
Lassen Sie genügend Zeit verstreichen, bevor Sie ans Überarbeiten gehen. Bei kürzeren Texten – wie einem journalistischen Artikel – genügt es oft, eine Nacht darüber zu schlafen. Literarische Texte sollten um einiges länger ruhen, bevor Sie mit der Überarbeitung beginnen und Ihrem inneren Kritiker das Wort erteilen.
Schreiben ist eine Sache. Lesen eine andere. Beim Überarbeiten des Textes sollten Sie den Standpunkt des Lesers einnehmen (auch deswegen ist der Abstand zum Text wichtig und nötig). Bisher waren Sie vielleicht der einzige Leser Ihres Textes. So soll es aber nicht bleiben. Überlegen Sie genau, wem Sie den Text zuerst vorstellen wollen. Es bringt Ihnen nichts, einen völlig unkritischen Menschen zu wählen, der alles was, Sie machen vorbehaltlos bewundert. Sie sollten sich aber auch nicht an einen krittelnden Kleingeist wenden, der an allem etwas auszusetzen findet (und der Sie vielleicht noch insgeheim beneidet, weil Sie etwas gewagt haben, was er selbst nicht wagen würde).
Am besten, Sie suchen sich einen Freund oder eine Freundin. Einen Menschen, der Ihnen wohl gesonnen ist, der ehrlich ist und der auch Lesekompetenz besitzt. Er sollte schon ausdrücken können, was und warum er etwas gelungen findet und warum nicht.
Sie möchten schreiben? Ob Roman, Kurzgeschichte, Krimi, Sachbuch, journalistische Artikel oder Ihre Autobiografie – schreiben lernt man nur durch Schreiben. Hier finden Sie Antworten auf Fragen rund ums kreative Schreiben und das Thema Kreativität.
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